30. September 2020

Markterklärung, und was nun? Warum es beim Smart Meter Rollout stockt.

Mit der Markterklärung des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnologie (BSI) Anfang dieses Jahres ist klar, dass sich der Energiemarkt nach zahlreichen Pilotprojekten nun im Regelgeschäft darum kümmern muss, die intelligenten Messsysteme (iMSys) flächendeckend einzubauen. Mit dem Verlassen der Pilotprojekte treten zahlreiche Herausforderungen zutage, welche die grundzuständigen Messstellenbetreiber (gMSB) und die wettbewerblichen Messstellenbetreiber (wMSB) zu bewältigen haben. Bei einem Blick in den Markt werden folgende Herausforderungen entlang der Prozesskette beim Smart Meter Rollout sichtbar.

Die Vorbereitung: Bei wem steht der Smart Meter Einbau an

Insbesondere der gMSB muss sich darüber im Klaren sein, bei welchen Kunden ein iMSys montiert werden kann. Bei der Auswahl spielen verschiedene Faktoren eine Rolle:

  • Verbrauch. Es muss zunächst geprüft werden, ob der Kunde in den Bereich für den jeweils anstehenden Rollout fällt (z.B. Verbrauch zwischen 6.000 und 10.000 Kilowattstunden für den aktuell anstehenden Pflicht-Rollout). Hier werden im Normalfall die historischen Verbrauchswerte zu Grunde gelegt. Es muss auf jeden Fall geprüft werden, ob die Daten verfügbar und korrekt sind.
  • Messung. Nicht alle Zähler können aktuell schon durch ein iMSys ersetzt werden. In der Regel kann nur der klassische Eintarifzähler ersetzt werden. Ob HT/NT-Zähler oder Einspeisemessungen schon umgebaut werden können, hängt oft von den Umsetzungen in den jeweiligen IT-Systemen zur Gateway-Administration und der Verwaltung der Messdaten ab.
  • LTE-Erreichbarkeit. Das iMsys besteht aus einer sog. modernen Messeinrichtung (mME), also einem digitalen Zähler und der Kommunikationseinheit, dem Smart-Meter-Gateway (SMGW). Dieses Gateway kann beispielsweise in ein LTE-Mobilfunknetz eingebunden werden, um die entsprechenden Interaktionen mit dem Gateway-Administartor (oder anderen berechtigten Marktteilnehmern) zu ermöglichen oder Messwerte zu übermitteln. Man kann also ein iMSys nur dort verbauen, wo entsprechender LTE-Empfang gegeben ist – da in vielen Fällen die Installationsanlagen im Keller der entsprechenden Gebäude verbaut sind, ist der Empfang quasi „unter der Erde“ erforderlich. Natürlich gibt es Möglichkeiten, die LTE-Verfügbarkeit im Vorfeld abzuschätzen, die Monteure vor Ort finden dann gegebenenfalls andere Verhältnisse vor. Die Kommunikationsalternativen mittels anderer Technologien (Powerline oder über das 450MHz-Funknetz) befinden sich aktuell noch in der Erprobung oder sind noch grundsätzlich in der Abstimmung.

Diese und weitere Faktoren führen dazu, dass genau geplant werden muss, bei welchen Kunden die Montage durchgeführt werden soll. Dies ist ein hochkomplexes Thema, das oftmals unterschätzt wird.

Die Durchführung: Welche Herausforderungen gibt es bei der Montage der Smart Meter?

Der eigentliche Wechsel in der Fläche bietet ebenfalls eine Reihe von Herausforderungen:

  • Kundenakzeptanz. Im ersten Schritt führt der Einbau eines iMSys beim Kunden zu höheren Kosten, dies hat der Gesetzgeber durch die sog. Preisobergrenze so festgelegt. Der einzige Mehrwert, den der Kunde aktuell erhält, ist die sog. Visualisierung. Das heißt, der Kunde kann sich den aktuellen und historischen Verbrauch viertelstundenscharf in einer Kurve anzeigen lassen. Mehrwertdienste wie Alarme bei ungewöhnlichem Verbrauchsverhalten oder intelligente Tarife sind bisher nur in Einzelfällen möglich. Dies führt dazu, dass der ein oder andere Kunde den anstehenden Zählerwechsel verweigert oder bewusst verschleppt.
  • Qualität der Montage. Die für ein iMSys eingesetzte Technologie ist neu, im Gegensatz zu den bisher verbauten klassischen Zählern ist der Montageprozess deutlich komplexer. So muss z.B. der LTE-Empfang gemessen werden und auf Basis der Messung entschieden werden, ob ein iMSys überhaupt verbaut werden kann. Weiter muss die Kommunikation zwischen mME und SMGW funktionieren. Dies bedeutet, dass die eingesetzten Monteure umfassend geschult werden müssen. Passiert dies nicht, kommt es oft zu fehlerhaften Montagen, die oft auch erst offensichtlich werden, wenn der Monteur nicht mehr vor Ort ist. Teure Entstörungen mit erneuten Anfahrten sind die Folge.

Die Montage stellt oft die Achilles-Ferse des Rollouts dar. Eine schlechte Durchführung führt häufig zu hohen Folgekosten und ggf. auch zu erhöhter Kundenkommunikation bis hin zu negativer Presse.

Der Betrieb: Mit Smart Metern in eine neue Welt.

Selbst nach Auswahl eines geeigneten Kunden und der erfolgreichen Durchführung einer Montage gibt es noch eine Reihe von weiteren Herausforderungen, welche die Messstellenbetreiber zu meistern haben.

  • Neue Technologien. Ein iMSys erfordern zusätzliche IT-Systeme im Backend. Dazu gehören das System zur Gatway-Administration (GWA) und das System zur Verwaltung der Messwerte (Meter Data Management System, MDMS). Neue Technologien müssen implementiert und beherrscht werden. Die bestehende Organisation muss dieses zusätzliche Knowhow aufbauen.
  • Der organisatorische Zuschnitt. Viele Organisationen haben sich nach der klassischen Welt der Privat- und Gewerbekunden aufgestellt. Dies gilt oft auch für die Messwertverarbeitung. Die iMSys bringen nun zusätzliche Komplexität ins Spiel, für die auch organisatorisch eine Lösung gefunden werden muss. Die Folge ist oft ein veränderter Zuschnitt in der Organisation, welcher Anpassungen in Bereichen und Abteilungen mit sich bringt.
  • Der räumliche Zuschnitt. Das BSI schreibt für die Gateway-Administration eine klare räumliche und IT-technische Trennung vor. Weiter gelten erhöhte Sicherheitsstandards für den Zutritt. Dies muss technisch umgesetzt und auch organisatorisch verankert werden, gerade bei kleineren Unternehmen eine Hürde.
  • Neue Marktteilnehmer. Die Rolle des wettbewerblichen Messstellenbetreibers bringt neue Player in den Markt (z.B. Unternehmen, die sich bisher nur mit Wärmemessung und Heizkostenverteilung beschäftigt haben). Dies kann an der ein oder anderen Stelle auch zu echten „Kulturschocks“ bei den Unternehmen führen, welche sich noch nicht in der strikten Marktrollentrennung der Energiewirtschaft mit ihren komplexen Kommunikationsstrukturen bewegt haben.

Fazit

Die Energiewirtschaft ist erneut durch die Vorgaben der Gesetzgebung in einen Transformationsprozess gedrängt worden. Die grundsätzlichen vier Handlungsfelder sind identifiziert. Gleichwohl steckt wie immer der Teufel im Detail. Wie alle Themen, die durch gesetzliche Vorgaben und nicht durch Innovation getrieben sind, läuft es noch nicht ideal. Gleichwohl hat die Energiewirtschaft im Verlauf der letzten 15 Jahre bewiesen, dass sie sich anpassen kann und auch dieses Mal wird der Smart Meter Rollout am Ende des Tages gemeistert werden. Ob dies auch die Vorteile für den Endkunden bringt, die der Gesetzgeber einmal im Sinn hatte, bleibt abzuwarten. Andere Länder in Europa, zum Beispiel Österreich, haben hier deutlich weniger komplexe Lösungen gewählt.

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Ein Beitrag von:

Mirco Gajewski

Mirco Gajewski ist bei der adesso SE Bereichsleiter im Bereich Consulting & Platform Solutions der Line of Business Utilities. Seine Schwerpunkte liegen in der Organisations- und Prozessberatung der Energiewirtschaft, insbesondere für die Marktrolle Netzbetreiber, sowie der Steuerung von Großprojekten.
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